»KINDER-EUTHANASIE«

Hanna Thiele wurde am 16. November 1932 in Peine geboren. Ihr Vater war der Postzusteller Karl Thiele, ihre Mutter Erna Berta Elisabeth Thiele (geb. Lieke). Hanna hatte zwei ältere Geschwister (1930 und 1928 geboren) und ein jüngeres Halbgeschwister (1939 geboren) aus zweiter Ehe. Ihr Vater gab sie 1936 nach dem Verlust der Mutter in das Celler Waisenhaus. Von dort kam sie in die Nervenklinik Langenhagen. Sie gehört zu den wenigen Kindern, die länger als sechs Monate, tatsächlich über zwei Jahre in der »Kinderfachabteilung« überlebten, vermutlich weil sie sprechen und gehen konnte. Sie war 1938 aus Langenhagen in die Rotenburger Anstalten der Inneren Mission gekommen. Von dort wurde sie am 9. Oktober 1941 nach Lüneburg verlegt und in Haus 25 aufgenommen. Während ihres gesamten Aufenthalts erhielt sie nur ein einziges Mal Besuch, da ihr Vater kein Geld für eine Fahrkarte hatte. Am 9. April 1943 kam ihr Vater nach Lüneburg, um nach ihr zu sehen. Sie starb am 26. Januar 1944 im Alter von elf Jahren. Ihre offizielle Todesursache lautete Lungenentzündung.
Die Ermordung von Kindern und Jugendlichen unter dem Deckmantel des »Gnadentodes« ab 1939 war der Beginn der »Euthanasie«-Maßnahmen. Monate bevor erwachsene Psychiatrie- und Heiminsassen gemeldet und erfasst, selektiert und ermordet wurden, ordnete das Reichsministerium des Innern in seinem Erlass vom 18. August 1939 das sogenannte »Reichsausschussverfahren« an, das zunächst lediglich die Meldung und Zwangsunterbringung von unter Dreijährigen zum Zwecke der Selektion und Ermordung regelte. Die erste im Frühjahr 1940 hierfür eingerichtete »Kinderfachabteilung« befand sich in der Landesanstalt Görden in Brandenburg an der Havel. Mit der Ausweitung des Erlasses auf Jugendliche bis 16 Jahre kamen ab Herbst 1941 in einer zweiten Phase weitere Einrichtungen hinzu, so dass bis Kriegsende – wenn auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten – nachweislich 31 »Kinderfachabteilungen« existierten. Die »Kinderfachabteilung« Lüneburg ist eine von ihnen. Bis zum 24. August 1945 wurden in der Lüneburger »Kinderfachabteilung« mindestens 440 Kinder und Jugendliche ermordet. Nach dem 24. August 1945 bis Ende 1947 starben weitere über 30 Kinder und Jugendliche und bestand die »Kinderfachabteilung« als »Kinderabteilung« fort. Die jüngsten Opfer waren wenige Tage alt, die ältesten standen kurz vor ihrem 16. Geburtstag.
An den Morden waren maßgeblich die Ärzte Dr. Max Bräuner und Dr. Willi Baumert sowie insgesamt 21 Pflegekräfte beteiligt. In der Zeit nach dem Krieg bis 1957 wurde die die »Kinderabteilung« von der Ärztin Dr. Clara Schmidt geführt.
Es gibt nur wenige Kinder und Jugendliche, die der »Euthanasie« entkamen.
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